Yana Grinshpun, Jean Szlamowicz, Le genre grammatical et l’écriture inclusive en français
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„Sternchen, Glottisschlag, Unterstrich, Punkte, Bindestrich oder die vollständige Aussprache “Schülerinnen und Schüler” oder neudeutsch gar “SuS” sollen die Hürden zwischen dem grammatischen und biologischen Geschlecht überwinden…“ so begann am 12. Mai 2021 das Dossier > Dossier: Écriture inclusive, ou non exclusive ? zum Thema ndt. „Gendern“ auf diesem Blog.
Nun ist Observables, eine Revue linguistique, die ihre erste Nummer dem Thema „Le genre grammatical et l’écriture inclusive en français,“ gewidmet hat, mit Beiträgen von Yana Grinshpun, Jean Szlamowicz, Romain Garnier, François Rastier und Jean Giot erschienen.
In ihrer Einleitung erklären Yana Grinshpun und Jean Szlamowicz ihre Absicht einige „objektive Tatsachen bezüglich der französischen Sprache, des Genus, der Orthographie und der Natur der Sprachen“(1) (S. 7) in Erinnerung rufen zu wollen, die im politischen wie auch in einem pseudowissenschaftlichen Raum zugunsten ideologischer Haltungen vernachlässigt worden seien.
Beide Autoren sind der Überzeugung, dass es an der Zeit sei, auf die linguistische Bedeutung des Genus in der französischen Sprache hinzuweisen: „Unsere wenig originelle Feststellung lautet, eine Sprache besitzt kein soziale Funktion.“ (S. 8) Es sind die Vertreter der gendergerechen Sprache („écriture inclusive“), denen beide Autoren vorwerfen, fälschlicherweise davon auszugehen, das die Sprache „sexistisch“ oder unsozial „inégalitaire“ sei: „Der größte Missklang (Unverständnis) betrifft das Wort Genus…“ (S. 8).
Grinshpun und Szlamowicz zeigen, dass eine weibliche bzw. männliche Bezugsperson keinesfalls, wie die Vertreter der gendergerechten Sprache vorgeben, ein weibliches oder männliches Zeichen haben müsse, denn diese Einheit von Zeichen und Einheit sei keine Eigenheit der Sprachen.
Im ersten Beitrag „Le genre comme catégorie linguistique“ (S. 20-80) erläutern Grinshpun und Szlamowicz, dass das Bezeichnende („la face formelle du nom“) und das Bezeichnete („sa face sémantique“) sich keinesfalls sich auf eine Binarität Zeichen/Geschlecht reduzieren lasse. (s. S. 33): „C’est un boulet, cette fille ! C’est une antiquité, ce mec!“ (ib.) und die Autoren nennen weitere Wörter, die Frauen und Männer bezeichnen: „Une recrue, une vedette, une nullité, une sommité, un mannequin, une victime, un exemple“ besitzen ein grammatisches Geschlecht, sind aber beiderlei Geschlechts hinsichtlich der Semantik.
Romain Garnier untersucht in seinem Beitrag die Bezeichnung feminin als Genus Bezeichnung: „Nouveaux regards sur la bipartition animé / non animé en indoeuropéen – le féminin comme troisième genre“. Seine Ausführungen und Erkenntnisse verdeutlichen, dass man nicht auf die Idee kommen könnte, einen Bezug zwischen dem grammatischen und dem biologischen weiblichen Geschlecht herzustellen: „Le nom-même de la ‚femme‘ (§ 6) était un ancien neutre !“ (S. 99)
Der Beitrag „La ‚masculinisation‘ du français a-t-elle eu lieu ?“ (S. 103-138) von Yana Grinshpun enthält eine Rezension des Buches von E. Viennot, Non, le masculin de l’emporte pas sur le féminin Petite histoire des résistances de la langue française, (Éditions iXe, Donnemarie-Dontilly, 2014, 119 p.) und Grinshpun kritisiert Viennots Verwendung des Genus ohne das semantische oder morphologische Genus zu unterscheiden, man könne sich die Sprache nicht nach seinen Wünschen zurechtbiegen (vgl. S. 104) : Sie irre sich, wenn sie glaube, dass die Bezeichnung mit der Sache dem bezeichneten identisch sei, sie übersehe „l’arbitraire du signe“. (2) Die Geschlechtsteile erklärten nicht, dass personne weiblich und individu männlich seien (vgl. S. 107): „Ma prof de yoga est un laideron. Evelyne est un vrai génie de la linguistique. Madame Dupont a été témoin de cet accident.“ (ib.) Ebenso sei die Annahme, es gebe kein Neutrum falsch: „Qui est d’accord ? Qui m’aime m esuive ! Embrassez qui vous voulez.„(p. 110). Im Gegensatz zur Linguistik als Wissenschaft, gründe Viennot, so Grinshpun, ihr Vorgehen nur auf subjektive Meinungen. (vgl. S. 130)
François Rastier untersucht in seinem Beitrag „Dérégulation du francais et création d’une langue“ (S. 141-164) die Folgen für den Sprachunterricht, würde man den Forderungen nach einer gendergerechten Sprache nachgeben. Sein Standpunkt ist eindeutig: „L’inclusivisme diffuse ainsi une conception fausse et appauvrie de la langue.“ (S. 148) und er führt viele Beispiele an, wie die Vermischung von signifiants et signifiés, die auf eine „Dekonstruktion der Semiotik“ (S. 149 ff) hinauslaufen.
Jean Giot zeigt in seinem Beitrag „Aspects problématiques de l’écriture inclusive pour l’épistémologie linguistique“ (S. 165-196), dass die Grundlagen der gendergerechten Sprache auf Reduktion und Abstraktion beruhen, die der Sprache nicht gerecht werden können und er kritisiert im einzelnen die Ansätze von <un.e> über <la.e> bis p. ex. <travailleu/r/ss> oder <le.a chercheur.e> mit all ihren Folgen für den Sprachunterricht: S. 178-183.
Im Anhang dieser Zeitschrift wird die „Tribune collective“, die in der Zeitung Marianne am 18.9.2020 erschienen ist, wiederabgedruckt: > „Une ‚écriture excluante‘ qui ’s’impose par la propagande“ : 32 linguistes listent les défauts de l’écriture inclusive“. (S. 197-202)
(1) Die Übersetzungen stammen vom Autor dieses Beitrags.
(2) Vgl. dazu E. Coseriu, L’arbitraire du signe. Zur Spätgeschichte eines aristotelischen Begriffs, in: Archiv für das Studium der neuere Sprachen, 2/1967 (6-112) : > www.romling.uni-tuebingen.de/coseriu/publi/coseriu39.pdf
Yana Grinshpun & Jean Szlamowicz, „Le genre grammatical et l’écriture inclusive en français: Observables n°1 /juin 2021
ISBN: 979-8518877252
> Observables n°1: „Le genre grammatical et l’écriture inclusive en français“