John Locke und seine Didaktik für Französisch
Donnerstag, 28. Juli 2022Unsere Redaktion hat gerade den jüngst bei Klett-Cotta erschienen Band von John Locke (1632-1704) gelesen und dazu einen > Lesebericht: John Locke, Einige Gedanken über Erziehung – zuerst 1693 erschienen – verfasst.
Aus Anlass des 125-jährigen Jubiläums der Klett-Gruppe (Ernst Klett Verlag) erscheinen bei Klett-Cotta ab 2022 eine Reihe zeitlos-aktueller Werke der Pädagogik und Erziehungsphilosophie. Zuerst wurde die Große Didaktik von Johann Amos Comenius (1592-1670) mit dem Untertitel Die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren in der Übersetzung von Andreas Flitner bei Klett-Cotta vorgelegt: Lesebericht: Johann Amos Comenius, Große Didaktik. Der Generalherausgeber dieser Reihe ist Jürgen Overhoff (Universität Münster), der hat auch den Band von Comenius herausgegeben hat. Mit ihm hat unsere Redaktion kürzlich gesprochen: Nachgefragt: Jürgen Overhoff, Hrsg., Johann Amos Comenius, Große Didaktik.
Nun ist der zweite Band dieser Reihe erschienen: John Locke, Einige Gedanken über Erziehung übersetzt von Joachim Kalka, den ebenfalls Jürgen Overhoff herausgegeben hat.
Es sind Lockes Bemerkungen zur Fremdsprachendidaktik, die uns hier ganz besonders interessieren. Wir zitieren hier aus unserem Lesebericht:
„Sobald der Zögling seine Muttersprache beherrscht, sollte man daran denken, ihn andere Sprachen zu lehren: Latein oder Französisch? „Doch weil Französisch ein lebende Sprache ist und mehr in der Unterhaltung gebraucht wird, sollte es zuerst erlernt werden…“ (S. 228) Und das geht in ein bis zwei Jahren, danach gehe man zum Lateinischen über. Die §§ 162-175 empfehlen wir allen Lehrplanautoren. Ob Lockes Kritik am Grammatikunterricht berechtigt ist? Wenn heute im 5. oder 6. Jahr Französisch noch immer Grammatikübungen in Form von Lückentexten von Schülern bearbeitet werden, erstaunt es nicht, würde Locke hinzufügen, dass diese Schüler keine Texte schreiben können. Sein Credo: „Sprachen sind nicht auf Regeln oder Kunstfertigkeit aufgebaut, sie sind durch Zufall und den allgemeinen Gebrauch der Menschen entstanden. Und wer sie wohl sprechen will, kennt keine andere Regel als diese, und vertraut auf nichts als sein Gedächtnis und die Gewohnheit, so zu reden wie die, denen man zubilligt, dass sie die Sprache gut sprechen, das heißt mit anderen Worten: auswendig reden.“ Nota bene nicht Auswendiglernen (S. 238, § 168) Aus dieser Einsicht heraus, besteht Locke ganz modern auf dem Gespräch in der Fremdsprache („Sprachen kann man sich nur durch Lesen und Sprechen aneignen und nicht durch Auswendiglernen von Fetzen aus alten Schriftstellern….“ (S. 249) Hinsichtlich der Grammatik wiederholt er seine Forderung, die eigene Grammatik müsse gut beherrscht werden: „Es wird sehr viel mehr Lärm um sie gemacht, als notwendig, und es werden die damit geplagt, denen sie gar nichts nützt, ich meine die Kinder in dem Alter, wo sie für gewöhnlich damit konfus gemacht werden in den Schulen.“ (S. 239, vgl. auch S. 240) Recht hat, denn wenn Schüler weder bon noch bien bestimmen können, fehlt es auch an deutscher Grammatik. Lockes Zögling soll lernen Geschichten zu erzählen, wozu als Übungsstoff die Fabeln von Äsop sich vorzüglich eignen. (vgl. S. 263)“ – und wie soll man nun eine Klassenarbeit bewerten, in der ein Schüler die Grammatiklückentextübungen fehlerfrei ausfüllt, aber im Aufsatzteil (production de texte) fast nichts schreibt, und die Arbeit, in der sein Klassenkamerad die Lücken nicht korrekt ausfüllen kann, aber im Aufsatzteil ganz viel schreibt mit vielen Fehlern, aber wo die Lust am Ausprobieren der Sprache nur allzu offensichtlich ist. Zu dem hohen Anteil an Grammatikübungen kommt noch eine weitere Hürde: die geringe Wiederholung, die fehlende Übung macht es den Schülern doppelt schwer.
Locke plädiert ganz modern für einen einsprachigen Unterricht und betont, der Knabe möge die Gewohnheit erwerben, „das Französische gut auszusprechen, was umso schwieriger ist, je länger man es aufschiebt.“ recht hat er, Deutsch sollte wirklich nur in kurzen Ausnahmesituationen gebraucht werden… in Grammatikstunden wird in der Fachdidaktik im Rahmen der aufgeklärten Einsprachigkeit konzendiert. Aber Locke spricht sich gegen die Vermittlung komplizierte grammatischer regeln aus. Seine Zöglinge sollen -heute würde man sagen – kontrastiv lernen. Die Grammatik seiner Muttersprache solle er gut beherrschen. Recht hat er, denn was nutzt eine Französischstunde, in der Adverbien und Adjektiven und gar noch deren Steigerungen erklärt wird, wenn die Schüler diese Wortarten noch nicht mal in der deutschen Sprache einordnen können?
Durch „Sprechen und Lesen“ (S. 229) soll der Zögling die Fremdsprache lernen, sein Tutor solle nicht vergessen, dass auch jeden tag Englisch (= Texte in seiner Muttersprache) lese. Wieviele Minuten kann ein Schüler im normalen Französischunterricht, sagen wir eine 7. Klasse mit 14 Schüler/innen, während einer Stunde auf Französisch sprechen? Im optimalen Fall 3 Minuten, die er durch laute Lektüre zu Hause unbedingt ergänzen muss: Wie oft habt Ihr während der Pandemie einen Lektionstext laut zu hause vorgelesen? Schweigen.
Lockes Plädoyer für Latein wird jeden Lateinlehrer erfreuen: S. 229-239
Zur Grammatik gibt Locke wichtige Hinweise: „Sprachen, die man durch auswendiges Einprägen, Brauch und Gedächtnis lernt, können erst dann in größter Vollkommenheit gesprochen werden, wenn alle Regeln der Grammatik vergessen worden sind. Ich räume ein, dass die Regeln der Grammatik einer Sprache manchmal sehr genau studiert werden sollten, aber nur von einem Erwachsenen, der sich dem Verständnis einer Sprache kritische nähert, was eigentlich nur das Geschäft des erklärten Gelehrten ist.“ (S. 234)
Ein Absatz im § 167 (bezüglich des Geschicks und der Kunst des Lehrers, sie an Neues heranzuführen, verdient unsere Aufmerksamkeit: „Das natürliche Temperament der Kinder macht ihren Geist dem Umherschweifen geneigt: Neuheit alleine macht sie aufmerksame..:“ S. 235: Methodenwechsel, nicht zu lange Phasen, alles steckt hier drin: „Das große Geschick eines Lehrers liegt darin, die Aufmerksamkeit seiner Schüler zu erlangen und festzuhalten; wenn er diese hat, wird er sicherlich so rasch vorankommen, wie ihn die Fähigkeiten des Schülers mit nehmen…“ heute nennt man schülerzentrierter Unterricht.
Unserer Redaktion gefällt das so moderne Plädoyer von Locke zugunsten des bilingualen Unterrichts ganz besonders:
„§ 178 Zur selben Zeit, da es Französisch und Latein lernt, mag man ein Kind, wie gesagt, auch mit Arithmetik, Geographie, Chronologie, Historie beginnen lassen und auch mit Geometrie. Denn wenn es in diesen Fächern auf Französisch oder Lateinisch unterrichtet wird, hat es einmal eine dieser Sprachen zu verstehen begonnen, dann wird es ein Wissen in diesen Fächern bekommen und die Sprache dazu.
Mit Geographie, dächte ich, sollte man beginnen:…“ (S. 253)
Vgl. LIBINGUA ist die Arbeitsgemeinschaft der Lehrkräfte, die Elternvereinigung und der Förderverein der fast 100 Gymnasien mit zweisprachig deutsch-französischem Zug in Deutschland.
Frankreich-Blog: 8. Deutsch-französischer Jugendkongress – mit einer Linkliste – 19. September 2019
John Locke
Einige Gedanken über Erziehung
Hrsg. von Jürgen Overhoff
Aus dem Englischen von Joachim Kalka
mit einem Vorwort von Jürgen Overhoff
1. Auflage 2022, 320 Seiten, Broschiert
ISBN: 978-3-608-98633-4
Was macht man, wenn die Klasse nicht zu bändigen ist?
Fortbildung im Lehrerkollegium auf der Grundlage von Gerhard Roth, Michael Koop Schule mit Köpfchen Erkenntnisse aus der Hirnforschung für den Unterricht nutzen.
ET, Lesebericht auf dem Blog: 20.8.22 https://t.co/fgtHr8qBqw pic.twitter.com/dP2nxdogCn— klett-cotta-video (@KlettCottaVideo) August 7, 2022