Staatspräsident Macron hatte einen akademischen Lehrer, den er heute besonders oft zitiert: Paul RicÅ“ur. Am Ende seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse erklärte Macron: > #fbm17 Le discours d’ouverture d’Emmanuel Macron – 10. Oktober 2017 – wir zitieren die > Ãœbersetzung der Französischen Botschaft in Berlin: „Gestatten Sie mir abschließend ein kleines Bekenntnis. Einige hier im Saal wissen es, es gibt einen französischen Philosophen, dem ich sehr viel zu verdanken habe, der mich gelehrt, unterstützt und mir vertraut hat: Paul RicÅ“ur. Und Paul RicÅ“ur, verehrte Frau Bundeskanzlerin, hatte ein ungewöhnliches Verhältnis zu Deutschland. Er verlor seinen Vater während des Ersten Weltkriegs, wurde also sehr früh Waise. Und während des Zweiten Weltkriegs kam er in Kriegsgefangenschaft.
Doch auch während des Kriegs hörte Paul Ricœur nicht auf zu unterrichten. Er brachte seinen Kameraden Philosophie bei, und er hatte ein Buch von Husserl auf Deutsch bei sich, das er übersetzte, mit Bleistift an den Buchrändern, über den ganzen Krieg hinweg. Wenn ich mich nicht irre, erschien zwei Jahre nach Kriegsende die erste französische Übersetzung von Husserl. Und sie war von Paul Ricœur. Er hätte damals allen Grund gehabt, dem trennenden Abgrund zwischen unsere beiden Länder nachzugeben. Doch hatte er die Sprache des Anderen gelernt. Er hatte Lehrer gehabt, die ihm diese Brücke bauten, er hatte deutsche Dichter gelesen, die ihn berührten, und deutsche und österreichische Philosophen entdeckt, die ihn bewegten und überzeugten. Ricœur wurde nie müde, das Übersetzen zwischen unseren beiden Sprachen und Ländern zu verteidigen, im Buch und durch das Buch.
Und durch meine Anwesenheit heute möchte ich Paul RicÅ“ur ein wenig zurückgeben – ich bin ihm natürlich noch viel mehr schuldig, ich will das heute nicht schmälern. Das gilt auch für all jene, die auf Französisch schreiben. Und deshalb sind unsere beiden Länder unzertrennbar. All jene hier in diesem Saal, die schreiben, übersetzen, veröffentlichen oder verlegen, tragen eine ungeheuer große Verantwortung.“
Antoine Flandrin, Emmanuel Macron a placé Paul RicÅ“ur au pouvoir – LE MONDE 18.10.2017 = Besprechung von François Dosse, > Le Philosophe et le Président. RicÅ“ur & Macron , Paris: Stock, 2017.
> Présidentielle 2017. Aux sources des idées d’Emmanuel Macron – France-Culture, 7 mai 2017
> Paul RicÅ“ur, l’intégrale en cinq entretiens (1993) – France-Culture
Sperantu Dumitru*, The Conversation France, > Emmanuel Macron, président philosophe ? – Le Point, 6 mai 2017.
> Paul Ricœur, 1913-2005 war Philosoph. (Der Wikipédia-Artikel über Paul Ricœur ist lückenhaft, nennt Fakten, es gelingt aber nicht, den besonderen Einfluss , den Ricœur auf Studenten wie Emmanuel Macron ausübte, herauszustellen. Wir orientieren uns im Folgenden an einige Fakten dieses Artikels) Er interessierte sich besonders für die Hermeneutik, das Erschließen und Verstehen von Texten auf phänomenologischer und psychoanalytischer Grundlage. Gabriel Marcel, Karl Jaspers, Edmund Husserl, Martin Heidegger und Sigmund Freud gehörten zu denen, die ihn beeinflusst haben. Ricœur schaute auf Symbole, in denen er Ausdrücke, Absichten, Begehren und Wünsche der Menschen fand, die er in literarische Texte wiederaufsuchte.
> Bibliographie des œuvres de Paul Ricœur
Ricœur studierte zunächst Philosophie in Rennes und setzte sein Studium 1934/35 an der Sorbonne, fort, und kam dort in Kontakt mit der Phänomenologie Husserls. Nach seinem Lehrerexamen (Agrégation) unterrichtet er in Colmar und Lorient Philosophie. In der Kriegsgefangenschaft in Pommern las er Karl Jaspers und übersetzte Edmund Husserls Ideen I.
Zuerst lehrte er in Straßburg und ab 1957 war er Professor für Allgemeine Philosophie an der Sorbnne. 1969 erschien Le conflit des interpretations (dt. Hermeneutik und Strukturalismus und Hermeneutik und Psychoanalyse). 1966 setzte er seine Lehrtätigkeit an der Universität Paris X Nanterre fort, deren Direktor er 1969 wurde, ein Amt, das er 1970 aufgab, um gegen die Eingriffe des Staates in die Hochschulautonomie zu protestieren. Danach lehrte er außer in Paris auch in Chicago.
1975 erschien Die lebendige Metapher, in dem er die poetische Funktion der Sprache analysierte, wobei ihn die Schaffung des Neuen besonders interessierte. Opus und Zeit folgte 1983, in dem er die Zusammenhänge zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung untersuchte. Soi-même comme un autre, dt. Das Selbst als ein Anderer, legte er 1990 vor und erinnerte damit an Rimbauds Spruch „Je suis un autre“.
2000 – als Emmanuel Macron sein Assistent war – erschien der Band La Mémoire, l’Histoire, l’Oubli, dt. Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, in dem er das Problem des Erinnerns und kulturelle Fragen des Gedächtnisses untersucht. 2004 folgte noch der Band Wege der Anerkennung, in dem er die Anerkennung als eine Grundlage sozialer Beziehungen analysiert. Sein großes Interesse für die Politik hat Macron verinnerlicht und will dies in gewisser Weise jetzt als Dank an den Philosophen zurückgeben, in dem er bei diversen Gelegenheiten immer wieder an ihn erinnert.
>Paul Ricœur Jochen Vogt, Einladung zur Literaturwissenschaft. Ein Vertiefungsprogramm zum Selbststudium
Eberhard Spreng, > Emmanuel Macron und die Kultur. Der Philosoph im Élysée-Palast, Tagesspiegel, 11.5. 2017
> Thomas Assheuer : Philosophie: Das Selbst als ein Anderer
Vom Versuch, Heidegger ein Gewissen zu geben: Paul Ricœur hat die humane Alternative der deutschen Philosophie formuliert. Zum Tode des großen französischen Philosophen
DIE ZEIT 25. Mai 2005
> Fonds Ricœur
83, boulevard Arago, 75014 Paris. Métro Denfert-Rochereau.
> Paul RicÅ“ur – Wikipedia