NEU auf unserem Blog : > Nachgefragt: Jacques Toubon, Défenseur des droits, parle des migrants et des réfugiés – 27. Juni 2016
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Artikel 50 des Vertrags von Lissabon
(1) Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.
(2) Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird. Das Abkommen wird nach Artikel 218 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgehandelt. Es wird vom Rat im Namen der Union geschlossen; der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.
(3) Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.
(4)
Für die Zwecke der Absätze 2 und 3 nimmt das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teil. Die qualifizierte Mehrheit bestimmt sich nach Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
(5) Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies
nach dem Verfahren des Artikels 49 beantragen.
Quelle: DE 30.3.2010 Amtsblatt der Europäischen Union : > Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – Deutsch, S. C 83/43/44
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Bevor wir die Rollen Frankreichs und Deutschlands näher betrachten und dabei vor allem, wie auf diesem Blog üblich, auch das deutsch-französische Verhältnis in den Blick nehmen, betrachten wir erst einmal in Form eines Éditorials, was am und seit letztem Donnerstag, an dem in Großbritannien über einen eventuellen EU-Austritt ein Referendum durchgeführt wurde, passiert ist: > Brexit-Votum: So gespalten ist Großbritannien – SPIEGEL-Online: 72,7 Prozent der registrierten Wähler haben an der Abstimmung teilgenommen, von ihnen haben sich 51,9 Prozent dafür ausgesprochen, das Vereinigte Königreich solle die EU verlassen, es ist eine Empfehlung, kein bindender Beschluss Die großen regionalen Unterschiede bei der Abstimmung – die Wähler in Schottland, Nordirland und London haben mehrheitlich für den Verbleib in der EU votiert – spielen bei der Bewertung des Ergebnisses eine Rolle, schon gibt es in Schottland erneute Ãœberlegungen für die Unabhängigkeit und dann einen Verbleib in der EU.
Beim Stand der Dinge, könnte die aktuelle Regierung unter Premierminister Cameron der Wählerempfehlung folgen und den hier rechts zitierten Artikel 50 des Lissabon-Vertrags aktivieren. Cameron, will dies vorerst nicht tun, er tritt zurück, bleibt aber bis Ernennung einer neuen Regierung in Amt. Das kann bis Anfang September dauern. Er überlässt es also seinem Nachfolger, mit dem EU-Exit Großbritannien möglicherweise in ein Finanz- und Wirtschaftschaos zu stürzen, was die Wähler nicht verzeihen werden. Heute sagte Cameron im Unterhaus, Großbritannien werde die EU verlassen, der Wählerwille werde respektiert, aber Großbritannien werde der Welt und Europa nicht den Rücken kehren. Wie das wohl in unserer globalisierten und so extrem vernetzten Welt funktionieren soll? Will London seinen Rang als Finanzplatz verlieren? Ein Freund aus London sagte mir gestern, dass sei der größte kollektive Selbstmord. Cameron scheint zuerst, das künftige Verhältnis Großbritanniens zu Europa prüfen zu wollen? Oder will er den Wählern demonstrieren, was auf sie zukäme, wenn Artikel 50 wirklich aktiviert werden würde? Hofft er insgeheim darauf, dass es zu einem zweiten Referendum kommen könnte? Vielleicht ein BREXIT-Referendum II oder eine Referendum über die Ausstiegsmodalitäten: „Soll Großbritannien den vorliegenden Austrittsabkommens annehmen und die EU verlassen?“ Nichts ist im Augenblick wirklich sicher. Oder es gibt Neuwahlen, und das Wahlkampfthema lautet, wollen Sie in der EU bleiben?
> Tory Cabinet minister calls for second referendum on terms of EU exit – 27. Juni 2016
Nigel Farrage, der seine ganze Politikerkarriere dem Brexit gewidmet hat, musste mittlerweile eingestehen, dass die im Brexit-Wahlkampf so vollmundig versprochene Umlenkung der wöchentlichen 350 Millionen Pfund der britische EU-Beiträge in das britische Gesundheitssystem doch nicht so einfach sei, tatsächlich ist diese Summe sogar nur halb so groß… im Wahlkampf wurde übertrieben. Seinen Bus neu und ehrlich bemalen und mit ehrlichen Zahlen nocheinmal abstimmen?
Vgl. > #Brexit (VI) – Was sagen nun die Befürworter des Brexit?
Boris Johnson, > Der Churchill-Faktor Stuttgart: Klett-Cotta 2015.
Und da ist auch der frühere Bürgermeister von London, Boris Johnson, der > sein eigenes Buch über Winston Churhill nicht mehr ganz im Sinn hat. Seine Leser finden dort Argumente für Europa und auch gegen Europa, aber diese sind nur konstruktiv, nie als totale Opposition gemeint gewesen. Mit Churchill wären die EU-Institutionen, z. B. die Montan-Union, demokratischer geworden, kann man nach der Lektüre dieses so empfehlenswerten Buches glauben. Johnson würde wohl zu gerne Cameron beerben, vielleicht gelingt ihm dann der Brexit aufgrund gescheiterter Ausstiegsverhandlungen nicht, dann hätte er sein machtpolitisches Spiel tatsächlich gewonnen. Oder ihm gelingt der Ausstieg, dann kommt wie oben angedeutet ein Finanz- und Wirtschaftschaos, was ihm die Wähler nicht verzeihen werden.
Thomas Hüetlin > Brexit-Antreiber Johnson: Das Rumdrucksen des Tricksers -Spiegel online, 28.6.2016
Großbritannien hat seit dem Eintritt in die EU ihre Vorteile genossen > Das vereinigte Königreich in der EU, ohne jedoch an allen Aktivitäten der EU teilzunehmen, so hat es z. B. nicht den EURO eingeführt und leistet auch nach den erfolgreichen Bemühungen von Margaret Thatcher geringere Beiträge. Wenn der Austritt scheitern sollten, dann wäre es mit diesen Ausnahmeregelungen höchstwahrscheinlich vorbei. Es ist kein Geheimnis, dass die EU sich weiterentwickeln muss, Versäumtes nachzuholen hat, z. B. gemeinsame Währungsinstitution, um die EURO-Probleme in den Griff zu bekommen. Kein Mitgliedsland sollte dieser Aufgabe sich entziehen können.
Fazit:
Ganz ohne Zweifel werden die verbleibenden EU-Staaten die Lage intensiv erörtern und feststellen, dass die EU um Reformen nicht herumkommt. Wolfgang Schäuble wird mit den Worten zitiert, man könne nicht so weiter machen wie bisher. Das soll Reformwillen demonstrieren, der in dieser Situation aber nicht morgen wieder vergessen sein darf. Die europäischen Institutionen sind von den Bürgern viel zu weit weg, es fehlt eine überzeugende europäische Vision. Allerdings ist es bemerkenswert, dass die Brexitgegner in Großbritannien vor allem in der älteren Generation höher als bei den Jugendlichen sind. Die EU bietet den Jugendlichen eine Freizügigkeit und eine spannende Staatengemeinschaft mit allen gemeinsamen Vorteilen, die nicht nur Studenten sondern überhaupt der Arbeitswelt immense Chancen bietet, um die andere Regionen in der Welt uns heiß beneiden. Die EU verbindet die Staaten auf einem der reichsten Kontinente der Welt. Dieser Hafen des Friedens ist ein Magnet, für alle, die ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben mitbringen, und den Populisten fällt nur ein, Stacheldraht zu errichten und die Angst vor Zuwanderern zu schüren: vgl. Die Artikel zum Thema > Immigration auf unserem Blog. Sicher eine unkontrollierte Einwanderung mit offenen Schlagbäumen geht allein aus Sicherheitsgründen nicht, aber eine geregelte Einwanderungspolitik – Vgl. > Nachgefragt: Jacques Toubon, Défenseur des droits, parle des migrants et des réfugiés – sollte die EU formulieren, um ihre Würde zu bewahren, denn die EU, und besonders Frankreich und Deutschland halten mit ihrer beeindruckenden Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg eine ständige Friedensbotschaft bereit. Die EU hat dringende Reformaufgaben, die gemeinsame bewältigt werden müssen. Die 27 haben keine Zeit, sich mit der Sonderrolle eines Staates ständig aufzuhalten. Alle werden gewinnen, wenn der Brexit scheitert.
Unsere Politiker sind aber der Ansicht, das Großbritannien Ernst machen und demnächst den Artikel 50 aktivieren werde. Haben sie die Chance verpasst, die Briten rechtzeitig für den notwendigen Reformprozess in die Pflicht zu nehmen? Oder werden die Ausstiegsverhandlungen mit ihren mäßigen Perspektiven für die britische Wirtschaft sie wieder auf den Pfad der europäischen Tugend zurückbringen?
Links:
David Graeber > Großbritannien oder: Das Ende der Resignation
* Deutsche Erstveröffentlichung des Artikels von David Graeber, Despair Fatigue. How hopelessness grew boring, in: „The Baffler“, 30/2016. Die Übersetzung stammt von Karl D. Bredthauer. Aus: »Blätter für deutsche und internationalePolitik« 6/2016, Seite 45-58.
Vgl. > Nachgefragt: David Graeber, Bürokratie. Die Utopie der Regeln
> Lifeticker zum Brexit – FAZ
Unsere nächsten Artikel:
> Frankreich-Deutschland und der #Brexit (IV) – La déclaration commune de Merkel, Hollande et Renzi
> Frankreich-Deutschland und der #Brexit (III)
Jean-Marc Ayrault und Frank-Walter Steinmeier, Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt.