Archiv für Mai 2012

Intervention du Président de la République au journal télévisé de France 2

Mittwoch, 30. Mai 2012

(ergänzt, 30.5.2012, 16 h 18)

Le Président de la République, François Hollande, a été interviewé au journal télévisé de France 2 (29 mai 2012, 20 h) par David Pujadas: Fühlen Sie sich schon als richtiger Präsident? Lernt man Präsident zu werden? – Dazu habe ich keine Zeit gehabt, das Treffen mit Frau Merkel war ja schon am Tag der Investitur, dann die Reise in die USA, der Nato-Gipfel, die Reise nach Afghanistan. Seit Monaten habe er sich vorbereitet, der Präsident der Franzosen zu sein. Er sein kein „Président de transition“, er sei ein „Président en action“: Er schließt eine Intervention in Syrien nicht aus unter der Bedingung, dass sie nach internationalem Recht geschehe. Sie muss aber auch nicht unbedingt militärischer Art sein. Wird Frankreich, so wie der Journalist fragt, aufhören in das deutsche-französische Paar zu investieren? (9 min 05) Das sei nicht der „einzige Motor“ in Europa, der Präsident will ein gutes Gleichgewicht zwischen Frankreich und Deutschland finden. Und er habe mit Frau Merkel über das Wachstum gesprochen. Der Journalist wirft ein, Merkel versteht darunter etwas anderes? Nein, wir haben alles auf den Tisch gelegt, antwortet Hollande. Sie möchte keine Eurobonds. Sie sage nicht niemals, sie sage nicht sofort… aber das eröffnet schon Kompromisse, fügt Hollande hinzu.

ZU Syrien: Wortlaut des Staatspräsidenten:

Staatspräsident Hollande: Ein bewaffnetes Eingreifen in Syrien durch einen Beschluss des Sicherheitsrates ist nicht ausgeschlossen

Im Gespräch mit France 2 nahm Staatspräsident François Hollande zur Lösung des Konflikts in Syrien Stellung (Paris, 29. Mai 2012)

Sie beschließen, wie andere westliche Hauptstädte auch, die Botschafterin Syriens in Paris auszuweisen, bzw. zur Persona non grata zu erklären. Glauben Sie wirklich, dass Baschar al-Assad durch Diplomatie dazu gebracht werden kann, sich zu beugen, so hart die getroffenen Entscheidungen auch sein mögen?

„Zunächst musste ich auf das, was in den vergangenen Tagen in Syrien passiert ist, auf das Massaker, einfach reagieren. Mit unseren engsten Partnern – ich habe gestern mit dem britischen Premierminister David Cameron gesprochen – sind wir übereingekommen, dass die Botschafter die Staatsgebiete unserer Partner verlassen müssen. Dann werden Sanktionen vonnöten sein. Und diese Sanktionen müssen sehr viel härter für das syrische Regime sein.

Sie müssen verschärft werden und ich werde darüber mit Präsident Putin sprechen, wenn er am Freitag nach Paris kommt. Denn im Moment ist er es, zusammen mit China, der am meisten Zurückhaltung bei der Frage der Sanktionen zeigt. Nun, wir müssen ihn überzeugen, dass es einfach unmöglich ist, dabei zuzusehen, wie das Assad-Regime sein eigenes Volk massakriert.

Und müssen wir noch weiter gehen und (…) ein militärisches Eingreifen in Erwägung ziehen, wie dies in Libyen geschehen ist?

Ein bewaffnetes Eingreifen ist nicht ausgeschlossen, vorausgesetzt es geschieht unter Einhaltung des Völkerrechts, also durch einen Beschluss des Sicherheitsrates.

An mir und an anderen, Russen und Chinesen zu überzeugen, aber auch eine Lösung zu finden, die nicht zwangsläufig militärisch sein muss, denn Druck muss ab sofort ausgeübt werden, um das Regime von Baschar al-Assad zu beseitigen.“

(Übersetzung: Französische Botschaft, Berlin)

> François Hollande „n’exclut pas“ une intervention militaire internationale en Syrie – francetvinfo

Le monde numérique, les lettres et l’écriture

Dienstag, 29. Mai 2012

Die Welt ist digital geworden und es gibt kein Zurück mehr.
> Ohne PC ist ein Studium kaum noch möglich?. Milad Doueihi,
> Pour un humanisme numérique (Rezension), Paris: Seuil, 2011. Statt die digitale Welt als eine Fatalität zu akzeptieren, schlägt Milad Doueihi uns vor, die Technik in den Griff zu nehmen, sie besser zu beherrschen und mit unserer Imagination ihre Möglichkeiten auszunutzen. In einem langen Kapitel über die Freundschaft untersucht Doueihi alle Formen des Austauschs als neue Zeichen eines „urbanisme virtuel“ (S. 73). La distance critique de M. Doueihi par rapport à ces réseaux lui permet de reconnaître les failles et les contraintes auxquelles sont soumis les usagers de Facebook, par exemple. er ist sich der Gefahren des „Solitude numérique“ (p. 85-91) sehr wohl bewusst.
Das Kapitel über Anthologien (S. 105-138) enthält Überlegungen über das Verhältnis vom Schreiben zum Lesen. Doueihi will nicht vom Schrecken der Technik (cf. S. 163) sprechen, er zieht es vor, die digitale Welt mit „l’imaginaire du numérique“ zu verbinden: „[il] dessine un nouvel espace partagé entre le réel et le virtuel.“ (S. 166) Das kann man kaum in Abrede stellen, ein Student wird heute mit dem Internet möglicherweise schneller als noch vor 20 Jahren eine Bibliographie zu seinem neuen Seminarthema erstellen können. Aber nach wie vor bleibt die Arbeit mit oder im Internet nur eine Ergänzung ordentlicher und präsziser Bibliotheks- und Archivarbeit. Die vollständige Rezension: > L’impact du numérique sur nos sociétés

Die neue > Bibliothek am Mailänder Platz in Stuttgart visualisiert die digitale Distanz zum Buch.

François Bon beschreibt die Zeit nach dem Buch, après le livre, Paris: Seuil, 2011: Die Veränderung, die wir erleben, ist für ihn unwiderruflich und hat längst begonnen. Es geht um das Schreiben: „Accorder son traitement de texte,“ rät er seinem Leser und gibt zu erkennen, wie jeder Schreibprozess mit all seinen Erscheinungsformen und Formatierungen das Lesen beeinflusst. Lesen und das Schreiben gehört zu seinen Themen. Sein Anfang ist geschickt gewählt. Folglich ist auch das Lesen am Bildschirm etwas anderes als das Lesen einer Buchseite. Und er weiß auch, dass eine Liseuse auch mit einem dicken Buch ausgerüstet keinen dicken Buchrücken hat. Und das stört uns. (S. 25) Selbst das digitale Buch ist für Bon nur ein Übergang. IPad und PC, das Schreiben ändert sich, aber er bleibt dabei: „le corps écrit.“ Le Bon zeigt vor allem, dass die digitale Welt auch das Schreiben und die Schreibgewohnheiten beeinflusst und verändert. Le Bon hat nicht ganz unrecht, würde man ihm bedingungslos folgen, muss man die folgende Frage verneinen: > Peut-on encore exister sans Internet? Oder kann man ohne das Internet studieren? – Aber in welcher Hinsicht ist die digitale Welt für einen Romanisten wirklich notwendig? WIe viele von ihnen nutzen das Internet aktiv, um auf ihren eignen Seiten eigene Inhalte zu verbreiten? Oder werden Romanistik-Studenten immer mehr zu bloßen Rezipienten. Die vollständige Rezension dieses Bandes: > Die digitale Welt – Gibt es bald keine Bücher mehr?

Beide Autoren haben mit ihren Visionen nicht ganz unrecht. Auch die Welt des Unterrichts 2.0 hat sich gewandelt: > Französischunterricht und das Web 2.0.

Auf diesem Blog:

> Das Ende des Flanierens im Internet oder die “Tyrannei des Sozialen”
> Peut-on encore exister sans Internet? Oder kann man ohne das Internet studieren?
> Online lernen
> Web 2.0 – 165 Beiträge auf diesem Blog

Le Président de la République, François Hollande, s’adresse à la presse aprés la rencontre informelle des chefs d’Etat et de gouvernement de l’Union Européenne.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Le Président de la République s’adresse à la presse à l’issue de la rencontre informelle des chefs d’Etat et de gouvernement de l’Union Européenne:

Die Anzeige der Video-Filme auf der Website des Elyseepalastes scheint kürzlich modifiziert worden zu sein. Möglicherweise sind alle früheren Videos, die hier auf dem Blog an gezeigt werden („embedded“), dadurch leider nicht mehr sichtbar. Manchmal stimmt auch etwas mit der ANzeige nicht, und einige Wochen später wird ein anderer Film angezeigt. Eine ständige Korrektur ist leider nicht möglich.

Bei dieser Pressekonferenz nach dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs, die am 23. Mai das nächste Treffen im kommenden Juni vorbereitet haben, hat sich der neue Staatspräsident, François Hollande, sich zuallererst zum Thema des Wachstums geäußert. Es lohnt sich, gerade diesem ersten Statements Hollandes auf internationale, europäischen Parkett in Brüssel genau zuzuhören. Die Versuchung ist groß, seine Stellungnahme mit seinen Wahlkampfreden zu vergleichen: die Wortwahl, die Gesten, die Art und Weise, wie er seine Zuhörer anspricht. Noch wichtiger ist aber, seinen Aussagen zum Wachstum zuzuhören, um herauszufinden, welche Definition er diesem Wort gibt. Und dann muss man sehen, wie er den Weg zum Wachstum beschreibt, welches Gewicht er den Eurobonds, als den europäischen Schuldverschreibungen gibt. Von vorneherein, ohne den Film angesehen zu haben, darf man vermuten, dass Wachstum auf unterschiedliche Arten definiert werden kann, es kommt darauf an, welche Stellschrauben der Präsident gerne gedreht sehen möchte. Es ist nämlich die Definition des Wachstums, die er hier vorträgt, die in sich unweigerlich die Ansätze für eine Entscheidung auf der Ebene der Regierungschefs andeuten oder erkennen lassen. Die Bundeskanzlerin steht einer Wachstumskomponente gar nicht mehr völlig ablehnend gegenüber. Es ist zu vermuten, dass die gemeinsamen Arbeitsgruppen sich auf der Arbeitsebene längst darangemacht haben, die unterschiedlichen Positionen zu vergleichen, abzugleichen und die Einigungswege anzudeuten. Und wenn Thilo Sarrazin meint, wir bräuchten den EURO nicht, dann hat Peer Steinbrück heute morgen in der FAZ in > der Rezension zu Sarrazins Buch, dessen fehlenden Einsichten in den europäischen Prozess hervorgehoben. Die ersten beiden Spalten von Steinbrücks Text sind Nachhilfeunterricht für Thilo Sarrazin. Allerdings werden auch mit Steinbrücks Rezension die wirklichen Probleme des EURO und die milliardenschweren Zahlungen, Bürgschaften und Kredite nicht besser verständlich. Für die Wähler in allen EU-Staaten haben einen Anspruch darauf, dass die Politik ihnen Beweggründe für Bekämpfung der Euro-Turbulenzen besser verständlich macht.

Vor diesem Hintergrund, die Frage nach Hollandes Definition des Wachstums, die Suche nach Kompromissansätzen in Bezug auf die vorgeschlagenen Maßnahmen und die Art und Weise, wie Hollande sich mit welchen Aussagen verständlich macht, können wir nun das oben angezeigte Video ansehen.

Hollandes Eingangsstatement dauert 7,5 Minuten. Eine richtig gute Übung für die Oberstufe: Die wesentlichen Aussagen des Präsidenten in fünf Sätzen zusammenfassen: Eurokrise, Wachstum, Zentralbank und ihre Rolle, die Positionen der andren Mitgliedsländer, er nennt nicht, wer ihn unterstützt, und Griechenland. Danach folgen die Fragen der Journalisten, und man kann hier einen ganz anderen Präsidenten als den Wahlkämpfer Hollande beobachten. Für die fortgeschrittenen Schüler. Wie argumentiert Hollande in einigen der folgenden Antworten? Und für alle zusammen, wie wird der Präsident seine Auffassungen bis zur Parlamentswahl in Frankreich vertreten, und wie wird er sie nach der Wahl artikulieren? Und wie wird Bundeskanzlerin Merkel ihre Koalition darauf einstimmen?

Wir sehen spannenden Wochen entgegen, weil in kurzer Zeit gerade jetzt sehr viel bewegt werden wird. Und das ist auch eine Chance für die deutsch-französische Kooperation jetzt gemeinsame Zeichen zu setzen. Das Gegeneinander funktioniert sowieso nicht, aber unterschiedliche Meinungen und ihre Diskussion helfen, den besten Weg zu finden.

Nachtrag: > Bundesregierung will Sonderwirtschaftszonen für Europa – DER SPIEGEL 25.5.2012

Kurswechsel in der Europapolitik? Podiumsdiskussion über die deutsch-französischen Beziehungen nach den Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Mittwoch, 23. Mai 2012

Frankreich hat einen neuen Präsidenten gewählt. Welche Auswirkungen wird dieser Politikwechsel in Frankreich auf die deutsch-französische Zusammenarbeit und die gemeinsame Europapolitik haben? Mit dieser Frage setzen sich Experten aus Deutschland und Frankreich im Rahmen einer Podiumsdiskussion am Donnerstag, 31. Mai, um 18 Uhr in der Villa Lessing in Saarbrücken auseinander. Veranstalter sind das Frankreichzentrum der Universität des Saarlandes und die Villa Lessing – Liberale Stiftung Saar e. V.

Nach dem Machtwechsel in Frankreich ist nun seit 1995 erstmals wieder ein Sozialist französisches Staatsoberhaupt. François Hollande hat sich gegen Angela Merkels Sparpolitik ausgesprochen und setzt sich für Wachstumsprogramme ein, um die Schuldenkrise in Europa zu bekämpfen. Diese Umorientierung ist nur ein Beispiel für die neuen Perspektiven, die sich für die zukünftige Zusammenarbeit ergeben. Ganz aktuell zeigte sich auch auf internationalem Parkett, den G8- und NATO-Gipfeltreffen in den USA, dass das deutsch-französische Duo uneins ist.

Im Gespräch mit Lisa Huth, Journalistin beim Saarländischen Rundfunk, beleuchten Gérard Foussier (Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift „Dokumente“ und Präsident der Organisation Bureau International de Liaison et de Documentation), Dr. Gregor Halmes (Dozent an der Universität des Saarlandes) und Dr. Andreas Marchetti (Senior Fellow am Zentrum für Europäische Integrationsforschung der Universität Bonn) die bevorstehenden Herausforderungen.

Veranstaltungsort: Villa Lessing, Lessingstraße 10, 66121 Saarbrücken

Anmeldung Um Anmeldung per E-Mail oder Telefon wird gebeten.
E-Mail: info@villa-lessing.de
Tel.: +49 (0)681/96708-25

Festvortrag. Nicolas Beaupré (UFR Clermont-Ferrand):
Ein Krieg nach dem Krieg? Die französische Besatzung Deutschlands 1918-1930

Montag, 21. Mai 2012

Die französische Präsenz in Deutschland nach 1918 erfährt seit zehn Jahren neue Aufmerksamkeit von Seiten der Geschichtswissenschaft. Neue methodische Ansätze bei der Erforschung des Ersten Weltkriegs und der internationalen und transnationalen Beziehungen sowie die Postcolonial- oder Gender Studies eröffnen neue Perspektiven.

Manche Episoden dieser komplexen Geschichte – vor allem die sogenannte „schwarze Schmach“ und die Ruhrbesetzung – werden intensiv bearbeitet. Viele andere Aspekte und Vorkommnisse bleiben hingegen weithin unerforscht. Der Vortrag wird einen Überblick über das Thema und den Forschungsstand bieten. Abschließend wird diskutiert, inwiefern die verschiedenen Episoden dieser Geschichte mit der Geschichte des Ersten Weltkrieges insgesamt verknüpft sind.

Vortrag in deutscher Sprache.
Der Festvortrag findet im Rahmen der von der DVA-Stiftung geförderten Gastprofessur statt.

Termin: Do, 24. Mai 2012 19:30
Ort: Stadtbibliothek, Mailänder Platz 1, 70173 Stuttgart

Albert Camus: Die Gerechten / (+Lösch:) Occupy

Sonntag, 20. Mai 2012

2013 jährt sich der Geburtstag Albert Camus‘ (1913-1960) zum hundersten Mal.

Das Premierenpublikum versammelte sich gespannt am Samstagabend, 19. Mai, im Stuttgarter Schauspielhaus auf der provisorischen Bestuhlung. Albert Camus‘, Die Gerechten in der Inszenierung von Volker Lösch unter dem Titel Die Gerechten /Occupy stand auf dem Spielplan.

Eigentlich wolle Camus 1949 auf der Bühne die Geschichte einer Gruppe von Revolutionären erzählen, die Die Ermordung des Großherzogs planen. Der erste Versuch scheitert, weil Kinder im Wagen waren. Der zweite Versuch gelingt. Und im Gefängnis, im 4. und 5. Akt rechtfertigt Kaliayev seine Tat auch vor der Großherzogin, die ihn in seine Zelle besucht.

Die Kurzfassung der Premierenaufführung: Kein Bühnenbild, die Schauspieler – Lisa Bitter, Marco Albrecht, Jan Jaroszek, Matthias Kelle, Markus Lerch – kommen zusammen mit den Zuschauern in den vollen Saal, kein Vorhang, Licht aus, Scheinwerfer an, mit einem furiosen Start, legen sie ihre Pläne und Beweggründe, warum sie den Großherzog ermorden wollen, unter der Überschrift „endlich handeln“ offen. Für Kaliayev ist die Revolution, wie es bei Camus heißt, die Chance, die dem Leben gegeben werden muss.

Nach dem ersten Akt geht das Licht an, die Schauspieler verteilen sich am Rand der Sitzreihen, und einer von ihnen erklärt den Zuschauern die > Handzeichen der Occupy-Bewegung, damit sogleich eine Diskussion mit Konsensfindung begonnen oder zunächst eine Sammlung von Statements gesammelt werden kann. Die > Fragen, die jetzt gestellt werden, waren dem Publikum vorher bekannt. Sie stehen auf fragebogen, die die > Website des Schauspielhauses zu diesem Stück Herunterladen anbietet. Kopien lagen im Eingangbereich aus. Das Publikum war erschreckend schnell eingeübt: „1. 1% der Menschen verfügt weltweit über einen Großteil der Finanzmittel und damit über politischen Einfluss, 99% der Menschen sind davon ausgeschlossen. Ich gehöre zu den 99% (oder zu den 1%), weil: …“ Es gibt Kommunikationstechniken, mit denen wie mit Mikrophonen die Verständlichkeit der Publikumsbeiträge im ganzen Saal gesichert werden. Ein Drittel des Publikums machte bereitwillig mit, ein ganz kleines % verließ in der folgenden halben Stunde den Zuschauerraum. Nach einer ersten Fragerunde – fast ein Politseminar als Werbeeinblendung – ging Camus‘ Stück weiter, wieder vor der Blechwand auf der Bühne, diesmal unter der Überschrift „was getan werden muss“. Dann wieder ein Block Diskussion mit dem Publikum, diesem ging es um die Waffenexporte baden-württembergischer Firmen in die Welt, was dann doch zur Bitte einer Zuschauerin führte, man möge doch lieber mit dem Stück jetzt fortfahren. Worauf einer der Schauspieler erklärte, hier werde insgesamt eine Interpretation des Stücks von Camus vorgetragen, und er die Zuschauer vertröstete, der Zusammenhang werde gleich noch erkennbar.

Die Gretchenfrage lautet, wer wurde hier vereinnahmt? Das Publikum, das mit einer Diskussion überrascht wurde, in der möglichst ein Konsens mittels einer bestimmten Gesprächstechnik herbeigeführt werden sollte, das mehr oder weniger wider Willen hineingezogen wurde? Oder war es Camus selber, der mit dieser Interpretation zu einem Unterstützer der Occupy-Bewegung gemacht werden sollte? > David Graeber wird im Programmheft vorgestellt und zitiert. Für unsere Überlegungen brauchen wir noch mehr Anhaltspunkte. Akt 4 und 5 fehlten in der Inszenierung, die mit der Ermordung des Großherzogs endet. Das Stück ist als auf die Vorbereitung und die Ausführung des Attentats reduziert. Camus‘ Stück wird folglich auf die revolutionäre Aktion reduziert, auch wenn auf der Stuttgarter Bühne der verhinderte Tod der beiden Kinder wie in der Textvorlage unter moralischen Aspekten diskutiert wird. Im Programmheft wird Camus‘ Mensch in der Revolte (1951) zitiert. Camus ruft aber zu keine konkreten politischen Aktionen auf. Wohlwollend kann man sagen, Lösch versucht, sich und die Zuschauer am Werk Camus‘ zu inspirieren und schlägt ihnen ein Weiterdenken vor. Dennoch:

L’homme révolté untersucht die Möglichkeiten, Aufgaben und Pflichten des Schriftstellers, Intellektuellen und Künstlers angesichts einer Politik, die sich von jeder Moral entfernt hat. Die Distanz zwischen Moral und Politik ist nicht das Ergebnis dieses Essays; es geht vielmehr um die Frage, inwieweit Moral Macht beeinflussen kann, und wie der Verlust von Werten verhindert und damit ein Scheitern der Revolte abgewehrt werden kann. (…) Der enge Zusammenhang von Revolte, Moral und Ästhetik ist in L’homme révolté die Basis für die Entstehung eines Kunstwerks. In diesem Sinne sind Revolutionen und totalitäre Bewegungen nicht der alleinige Gegenstand dieses Essays.
Der Essay enthält auch keinen Aufruf zu einer Revolte. (…) Es gibt in der Untersuchung außer der Analyse, wie die Verweigerung eines Einzelnen, die hier beinahe ausschließlich Revolte genannt wird, entstehen kann oder muß, keine detaillierte Anweisung, wie eine solche Revolte verlaufen müßte. Sie ist kein einmaliges Ereignis, sondern gibt den Anstoß zu einer konkreten Veränderung. Die Revolte kann einen konkreten Ausgangspunkt haben. Im wesentlichen beschreibt die Revolte eine Haltung.“ H. Wittmann, > Albert Camus. Kunst und Moral, Reihe Dialoghi/Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreich, Hg. Dirk Hoeges, Band 6, Peter Lang, Frankfurt/M u.a. 2002, S. 47 f.

Im Foyer kommt man bei Kartoffelsalat und Würstchen den anderen Premierenbesuchern ins Gespräch. Sicherlich kürzt Volker Lösch immer. Zwei Akte fehlen? Ach so, nein, man kenne das Stück nicht.

Etwa 700 Zuschauer mit fünf Schauspielern in kurzer Zeit zum Mitmachen zu bewegen, sogar mit von Musik untermalter Stillarbeit, nehmen Sie mal Blatt und Stift (Unter ihrem Stuhl) zur Hand, während Getränke gereicht werden, ist doch schon ungewöhnlich, funktioniert bei geschickter Inszenierung, und um die Regierung mal an die kostenlosen Kita-Plätze zu erinnern, solle ein Flashmob vor dem Landtag organisiert werden. An Vorschlägen für politische Aktionen zur Unterbindung ärgerlicher Missstände mangelte es nicht. Das ist Volker Lösch gelungen. Mit Hilfe einer Textvorlage eine Aufführung zu entwickeln, bei der das Publikum erfolgreich zum Mitmachen bewegt wird, auch wenn manche den Kopf schüttelten und sofort den Ausgängen zu strebten. Mindesten 99 % blieben da und erklärten folgsam, wieso sie eben zu diesen 99% gehören. Jede Aufführung verläuft anders und die Versuchung, nochmal hinzugehen, ist groß.

> Schauspielhaus Stuttgart

> Die Gerechten / Occupy

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