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In Rheinstetten gibt es Befürchtungen, wenn Kinder Französisch lernen, würden sie benachteiligt werden. Wieso? Ist es nicht ganz normal, die Sprache des Nachbarn zu lernen? Und der Konflikt, folgt man Jan Friedmann SPIEGEL dieser Woche (Ausgabe Nr. 37 vom 12.9.2011), könnte „in den meisten Bundesländern noch an Schärfe gewinnen.“ Wird da ein Ereignis herbeigeschrieben?
Unter der Überschrift > „Shakira schlägt Jacques Brel“ berichtet Fredmann, dass deutsche Schüler lieber Französisch als Spanisch lernen wollen. Und der Untertitel von Friedmanns Beitrag legt schon seine Tendenz frei: „Doch in den Ministerien vieler Länder dominiert die Gallier-Lobby.“ Das klingt sehr abwertend, ist von wenig Sachverstand geprägt und will Rückständiges gegenüber dem Aufschwung der spanischen Sprache in deutschen Schulen suggerieren.
Fried berichtet von einer bundesweiten Stagnation des Französischunterrichts. Dem Verlust von einem halben Prozent der ca. 1 170 000 Französisch-Schülern 2005/2006 an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland steht von 2005 bis heute die Zunahme von 100.000 Schüler gegenüber, so dass jetzt in Deutschland 337.294 Schüler Spanisch lernen. Ohne Zweifel ist diese Situation ein Hinweis darauf, dass für das Fach Französisch nicht genügend getan wird.
Dem Vergleich der Schülerzahlen hinsichtlich ihrer Sprachentscheidungen folgt der Satz: „Heutige Schüler hingegen blicken zunehmend über den großen Nachbarn hinweg weiter gen Westen.“ In einem immer enger zusammenwachsenden Europa verliert Frankreich in den Augen der Schüler etwas von seiner Attraktivität, weil sich andere Horizonte auftun. Sympathien, Vorlieben, persönliche Präferenzen und mehr oder weniger genaue Informationen spielen dabei eine Rolle. Man orientiert sich gerne an irgendeinem Trend. In diesem Sinne ist dieser SPIEGEL-Artikel eine etwas flache Werbeveranstaltung für Spanisch, bei dem leider die Argumente für diese Sprache vergessen wurden, denn es werden nur Punkte angeführt, die die Nachteile von Französisch andeuten sollen: So wie „Die Sprache von Voltaire und Balzac steht im Ruf, kompliziert und grammatiklastig zu sein…,“ eine Ansicht ist, die immer gerne wiederholt wird und manchen Schülern als Entscheidungsgrundlage genügt. Solche Vermutungen gelten aber auch für andere Sprachen.
Französisch ist viel mehr als eine „Lebensform“.
Willkommene Unterstützung bekommt Jan Friedmann durch Yvonne Petter-Zimmer, Verlagsleiterein für Fremdsprachen bei Cornelsen, die er mit den Worten „Frankreich war einmal Symbol für eine erstrebenswerte Lebensform. Das ist abgelöst worden durch Spanisch,“ zitiert. Ihre Anmerkung bezieht sich möglicherweise eher auf den Absatz der eigenen Spanisch-Lehrwerke als auf einen diffusen Eindruck hinsichtlich eines Vorrangs Spaniens und übergeht allzu leichtfertig die Bedeutung der deutsch-französischen Aussöhnung für ein friedliches Europa. Als „bodenständig“ und „berufsnah“ beurteilen viele Eltern, so Friedmann die spanische Sprache „wenn die Kinder eine Ausbildung im Tourismus oder im Handel anstreben“. Das ist also mal ein Sachargument, auch wenn es nicht sticht, denn das Handelsvolumen Deutschlands mit Frankreich ist größer als mit Spanien. In anderen Fächern wie Geschichte, Literaturwissenschaft oder Philosophie muss man sich wohl doch wieder auf Französisch besinnen. Und Friedmann fügt hinzu: „Auch an vielen Universitäten wählen mehr Erstsemester Spanisch als Französisch.“ Ihr Studienfach heißt Romanistik und dies bietet seinen Studenten mehrere romanische Sprachen an. Die Präferenzen zugunsten der spanischen Sprache sind in der Romanistik, die manchmal als Sprachkurs missverstanden wird, sind nicht zu übersehen. Besinnt man sich aber wieder auf die Literaturwissenschaft und die fundamentale Bedeutung der > Literatur für die Entwicklung von Gesellschaften, wird man sich schnell wieder an Französisch erinnern müssen.
Für Französisch gab es nie eine richtige Sprachpolitik
Würde Friedmann den Beitrag der französischen Sprache und Kultur, einschließlich Literatur, Geschichte und Philosophie zum Schulunterricht und die zahlreichen Kulturabkommen zwischen Deutschland und Frankreich in den Blick nehmen, würde er nicht auf die Idee kommen von einer „Gallier-Lobby“ in den Ministerien zu sprechen, sondern viel eher ihr Fehlen und folglich auch ihre mangelnde Ausstrahlung auf die Schulen mit Recht beklagen. Im Deutsch-Französisches Kulturabkommen vom 23.Oktober 1954 heißt es : “Die hohen vertragschließenden Teile tragen, soweit irgend möglich, Sorge dafür, daß in allen Universitäten und höheren Lehranstalten ihres Gebietes Unterricht in der Sprache und Literatur des anderen Teiles veranstaltet und daß Schülern diese Sprache als erste oder zweite obligatorische lebende Sprache zur Wahl gestellt wird. Sie tragen ferner dafür Sorge, daß den Schülern der Fachschulen sowie der höheren Handels- und Gewerbeschulen die gleichen Möglichkeiten geboten werden.” zitiert von Ingo Kolboom, in: > Was wird aus der Sonderbeziehung? Plädoyer für eine neue deutsch-französische Nähe: Wider die “Normalisierung” als Diskurs der Entfremdung. (*.pdf, Erschienen in: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, Heft 3, Juni 2000, S. 207-214.) Auch im Deutsch-Französischen Vertrag von 1963 steht: „Die beiden Regierungen erkennen die wesentliche Bedeutung an, die der Kenntnis der Sprache des anderen in jedem der beiden Länder für die die deutsch-französische Zusammenarbeit zukommt.“ Eine wirklich „voluntaristische Sprachpolitik“ zugunsten der französischen Sprache, die Kolboom schon vor elf Jahren anmahnte, hat es in Deutschland nicht gegeben. Sein Artikel hat an Aktualität bis heute nichts verloren. Die Folgen wie die mangelnden Kenntnisse über die Chancen Europas werden immer gravierender.
Nur was man sieht, kann man auch verstehen
Im Konzept für unseren Frankreichblog steht der hehre Wunsch, er möge Schüler von der Abwahl der französischen Sprache abhalten. In den 1350 Beiträgen, die hier seit fünf Jahren verfasst wurden, finden sie viele Beiträge, deren Inhalte kaum je im Schulunterricht erwähnt werden, die aber die > deutsch-französischen Beziehungen als ein wichtiges Fundament für die europäische Einigung nachhaltig prägen. An allen großen Erfolge der EU hatten Frankreich und Deutschland erheblichen Anteil. Es reicht nicht, von einer „Lebensform“ zu sprechen. Es geht um die Literatur und die Geschichte, wie zum Beispiel das 19. Jahrhundert in Frankreich in ganz entscheidender Weise die Moderne geprägt hat. Nur wenn Schüler von der Bedeutung der französischen Sprache für Europa nichts erfahren, sondern nur mal hören, dass Französisch schwer sein soll, ist es an der Zeit, dass endlich die mit Frankreich schon lange vereinbarten Schritte zur Förderung des Sprachunterrichts unternommen werden.
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