Hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie gibt es in Frankreich und Deutschland mittlerweile voneinander abweichende Perspektiven. > Nachgefragt: Robert Spaemann, Nach uns die Kernschmelze (blog.klett-cotta,de). Ein Land in Europa kann zwar alleine seine Atommeiler abschalten, eine partielle Verringerung des Gefahrenpotentials für die deutsche Bevölkerung wird allerdings erst nach 2022 wirksam, wobei für die atomaren Hinterlassenschaften noch nicht mal heute ein sicheres Endlager gefunden ist. Vielleicht will man sogar die Suche künftigen Generationen aufbürden?
Die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke ist zunächst eine politische Absichtserklärung, die Energiepolitik in Deutschland zu überdenken. Hat die deutsche Regierung sich dabei mit Frankreich abgestimmt? Wirtschaftliche und energiepolitische nationale Alleingänge in Europa haben keine guten Zukunftsaussichten. In Frankreich misst man die Unabhängigkeit mit Atomkraft. Eine „Unabhängigkeit von 78 % der Stromerzeugung“ heisst es in der unten zitierten offiziellen Stellungnahme, die andersherum bedeutet, dass Frankreich Stromerzeugung zu 78 % von der Atomenergie abhängt. Aber in Frankreich kennt man die Bedeutung der erneuerbaren Energien: „2020 werden 27 % des Strombedarfs durch erneuerbare Energiequellen abgedeckt (2010 waren es 15%).“ Wenn Staaten in Europa, und besonders Frankreich und Deutschland zusammenarbeiten, könnte dieser Umbau der Energieerzeugung nicht effizienter und schneller gehen? Warum setzen Deutschland und Frankreich nicht zusammen ein Zeichen? Hat man da ein Wort übersehen? Aber in der > Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Energiepolitik „Der Weg zur Energie der Zukunft“ (Mitschrift) kommt das Wort Frankreich nicht vor. Stattdessen sagt die Bundeskanzlerin: „Die Bundesregierung wird sich – das sage ich hier zu – mit aller Kraft in Brüssel dafür einsetzen, dass unsere Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen in Europa erhalten.“ Hm… Und das Wort Europa kommt noch einmal in ihrer Regierungserklärung vor: „Energieeffizienz soll nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa ein neues Markenzeichen werden.“ Eine überzeugende Energiewende in Deutschland und Europa hätte mit dem Satz: „Zusammen mit Frankreich wollen wir oder werden wir…“ begonnen.
(Text der Französischen Botschaft:) Die Entscheidung Frankreichs für Kernenergie ist eine strategische Entscheidung. General de Gaulle schuf nach dem Zweiten Weltkrieg die Voraussetzungen dafür. Die strategische Entscheidung für Kernenergie als einen Grundpfeiler des französischen Energiemix wurde 1974 nach der Ölkrise getroffen: Angesichts der stark ansteigenden Energiepreise wollte Frankreich bei der Energieversorgung seine Abhängigkeit von Importen deutlich verringern und nicht auf fossile Rohstoffe (Kohle, Öl und Gas) angewiesen sein, deren Vorkommen endlich sind. In der aktuellen Situation zeigt sich die Richtigkeit dieser Entscheidung deutlicher als je zuvor. Sie wurde von einem breiten Konsens getragen, der seither von keiner Regierung wieder in Frage gestellt wurde.
Der Kernenergie verdankt Frankreich heute:
– eine Unabhängigkeit von 78% bei der Stromversorgung,
– niedrigere Stromkosten als seine europäischen Nachbarn,
– die Fähigkeit, seine Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen einzuhalten, die gemeinsam mit unseren weltweiten Partnern in Kyoto eingegangenen und in Kopenhagen bekräftigt wurden,
– 100 000 direkte Arbeitsplätze auf französischem Staatsgebiet und 100 000 indirekte Arbeitsplätze in der Kernindustrie.
Sicherheit – eine unerlässliche Bedingung für die Kernenergie
– Frankreich und seine Nachbarstaaten sind davon überzeugt, dass die Zukunft der Kernenergie nur mit immer höheren Sicherheitsstandards einhergehen kann.
– Nach der Katastrophe in Fukushima hat Frankreich bei der Atomenergiebehörde eine Überprüfung gefordert, aus der Frankreich die entsprechenden Konsequenzen ziehen wird. Alle französischen Kernkraftwerke werden Simulationstests unterzogen, wobei die simulierten Ereignisse auf den Erfahrungen aus Japan beruhen.
– Premierminister François Fillon hat am 17. Mai 2011 den Rechnungshof mit der Erstellung eines Gutachtens über die Kosten der Kernenergie beauftragt. Der entsprechende Bericht wird im Januar 2012 erwartet.
Nukleare Sicherheit setzt auch internationale Zusammenarbeit voraus
– Frankreich und seine G8-Partner haben am 26. und 27. Mai 2011 ihre Absicht bekräftigt, höchste Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke einzuführen. Diese sollen für alle Länder gelten, die auf die zivile Nutzung der Kernenergie zurückgreifen wollen.
– Auf Initiative Frankreichs fand am 7. Juni 2011 in Paris eine vom Umweltministerium organisierte Ministertagung statt, die darauf abzielte, die Zusammenarbeit im Bereich der nuklearen Sicherheit zu verstärken und die Beschlüsse des G8-Gipfels zu vertiefen. Sie diente zudem der Vorbereitung des IAEO-Treffens am 20.-24. Juni in Wien.
– Die Europäische Union hat am 25. März beschlossen, die 143 Kernkraftwerke in Europa einem Stresstest zu unterziehen. Zu den Testkriterien gehören Erdbeben und Überschwemmungen, um die Lehren aus der atomaren Katastrophe in Fukushima ziehen.
Eine breit gefächerte Energiepolitik
Ausbau erneuerbarer Energien
– Frankreichs Energiepolitik umfasst sowohl Kernkraft als auch erneuerbare Energien.
– Das Umweltschutzgesetz (grenelle de l’environnement) und unsere auf europäischer Ebene eingegangenen Verpflichtungen sehen eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch auf 23% bis 2020 vor. Der Stromsektor muss dazu einen besonderen Beitrag leisten: eine Verdopplung des Anteils erneuerbarer Energie zwischen 2005 und 2020.
– Frankreich hat in den letzten 4 Jahren seine Windenergie-Kapazität um das 20-fache gesteigert. Die Solarenergie-Produktion stieg in den letzten zwei Jahren sogar um das 50-fache. Im Januar 2011 wurde ein Programm zum Ausbau der Windenergie entlang der französischen Küsten angekündigt: Die Projektausschreibung kommenden Monat umfasst den Bau von Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 3000 MW; das entspricht der Hälfte der französischen Zielsetzung bis 2020.
– Frankreichs Energiepolitik zielt folglich auf eine breitere Fächerung der Energiequellen ab, die Wirtschaftsaufschwung, Innovationen und Arbeitsplätze mit sich bringt. 2020 werden 27 % des Strombedarfs durch erneuerbare Energiequellen abgedeckt (2010 waren es 15%). Damit stellen erneuerbare Energien 34% der gesamten installierten Leistung. (Fin)
Liens:
> Dossier : Tour du monde de l’atome civil – Les Echos
> Lauvergeon: la France ne peut pas se passer du nucléaire
> L’énergie nucléaire (III) : Deutschland steigt aus
> L’énergie nucléaire (II) : “Un référendum sur le nucléaire en France !”
> L’énergie nucléaire (I) : La visite de M. Sarkozy à Gravelines