Literatur im Französischunterricht
6. März 2007 von H. Wittmann
Die Behandlung von literarischen Texten im Französischunterricht wird auch heute noch manchmal in modernen Positionen der Fachdidaktik vernachlässigt. Andreas Nieweler berichtet in seiner Fachdidaktik über den Rückgang der literarischen Texte in den sechziger Jahren, als audiovisuelle Methoden die Oberhand gewannen. In den achtziger und neunziger Jahren kamen literarische Texte wieder in die Curricula zurück, wenn auch Sachtexte ihnen gleichbedeutend an die Seite gestellt wurden. (Vgl., S. 206) Es ist richtig, dass in der Literaturdidaktik Lesemethoden mehr als die Auswahl der Texte diskutiert werden. (cf. Nieweler, S. 208). Auf die Diskussion des Kanons – Nieweler nennt wichtige „Kriterien für die Auswahl literarischer Texte“ – möchte ich mich hier noch nicht einlassen; zuviele Vorlieben, Vorbehalte und persönliche Interessen sind in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen.
Es geht um dabei um viel mehr. Der Französischunterricht ist heute in erster Linie von Noten und Leistungsnachweisen geprägt. Vokabeltests dienen zuweilen eher der Disziplin als der Faszination die Anwendbarkeit des Gelernten zu entdecken. Französisch wird immer noch oft auf Kommunikationssituationen und Grammatik reduziert anstatt als das beste Mittel verstanden zu werden, mit dem die Geschichte und die Literatur unseres Nachbarn entdeckt wird. Wie oft wurde aber in der Referendarzeit gesagt, das sei zu schwer für die Schüler, und das Limit wurde auf 10 neue Vokabeln pro Stunde gesetzt, damit die Schüler ja nicht überfordert wurden.
Der Literaturkurs in Klasse 13 ist die wichtigste Erinnerung an meine Zeit als nebenamtlicher Lehrer vor dem 1. Staatsexamen. Rousseau, Voltaire, Balzac, Stendhal, Hugo, Flaubert, ja sogar Rimbaud waren mit dabei. Die Schüler berichteten über die Texte, die sie gelesen hatten, entdeckten Querverbindungen und wurden auf die nächsten Texte neugierig. Camus hat in Le premier homme beschrieben, wie er und sein Freund sich nach dem Besuch der Bibliothek auf die nächste Bank gesetzt haben, um die gerad entliehenen Bücher aufzuschlagen, ganz neugierig, was sie sie ihnen denn diesmal bieten würden. In dieser Hinsicht muß der Französischunterricht wieder zu einer Entdeckungsreise werden, die den Gedanken an eine Abwahl gar nicht erst aufkommen läßt.
Ich meine, die französische Literatur ist interessant genug, um auch heute noch mit allen Medien erfolgreich konkurrieren zu können. Aber mit den heutigen Sachtexten kann die Vielfalt dieser Literatur auch nicht annähernd ersetzt werden. Als Sachtext würde sich immerhin ein Auszug aus Sartres Qu’est-ce que la littérature? oder aus seinem Vortrag La responsabilité de l’écrivain (1946) eignen, in dem er gleichzeitig die Verantwortung des Autors und die des Lesers für die Freiheit der Literatur demonstriert. oder Texte zu den > deutsch-französischen Beziehungen.
Der Rückgang der Literatur im Französischunterricht ist eine Fernwirkung des kommunikativen Ansatzes und eine Folge des allgemeinen Klagens, mit den Schülern von heute könne man anspruchsvolle Texte nicht mehr lesen. Das ist aber nur ein On dit. Werden sie mit ihren Interessen und heute so vielfältigen Kenntnissen ernstgenommen, dann öffnet ihnen die Literatur die Perspektive auf die kulturelle Vielfalt unseres Nachbarn. In meinem Unterricht müßten die Schüler regelmäßig über ihre Leseerlebnisse berichten. In den ersten Lernjahren gibt es genug > an die Kenntnisse angepaßte Lektüren, später bieten Lektüren wie zum Beispiel > Itinéraires oder das Internet genügend Gelegenheiten, interessante literarische Texte zu finden.
Die Beiträge auf diesem Blog geben, gemäß seiner Konzeption, die Meinung der Autoren und nicht unbedingt die des Ernst Klett Verlags wieder.