George W. Bush und Albert Camus
14. September 2006 von H. Wittmann
Im August rief mich ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung an: Herr Bush lese gerade „Der Fremde“. Was kann er von Camus lernen? Tatsächlich hatte Bush-Sprecher Tony Snow berichtet, er habe mit dem amerikanischen Präsidenten eine kurze Unterhaltung über die Entstehung des französischen Existentialismus und Camus und Sartre, gehabt. (Libération, 31. August 2006). Hier ist die Antwort an die SZ, die den Text gedruckt hat. Leider wurden wohl wegen Platzmangels die letzten Sätze weggelassen:
Was kann Herr Bush von Camus lernen?
Der Roman „Der Fremde“ (1942) von Albert Camus (1913-1960) erzählt, wie Meursault einen Araber am Strand erschießt, nachdem dieser sein Messer gezückt hatte. Im anschließenden Gerichtsverfahren, in dem der Staatsanwalt auf die angeblichen moralischen Verfehlungen des Angeklagten verweist, die mit der Tat nichts zu tun haben, wird dieser zum Tode verurteilt. „Der Fremde“ wird oft zu Unrecht wie Camus‘ Werk selbst auf die Schilderung des Absurden reduziert. Allzu leichtfertig folgen viele Leser dem Staatsanwalt und bezeichnen ebenfalls Meursault als gefühllos, obwohl dieser jedes Detail um sich herum aufmerksam beobachtet und sich lediglich an die Wahrheit hält. Camus selber erklärte im Vorwort der amerikanischen Ausgabe zu seinem Roman, jemand der bei der Beerdigung seiner Mutter nicht weine, riskiere zum Tode verurteilt zu werden. In seinem Gesamtwerk setzt er die Autonomie der Kunst den Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts entgegen, (vgl. > Albert Camus. Kunst und Moral) so wie er in seiner Nobelpreisrede (1957) betont hat, daß der Künstler sich nie isolieren darf, denn er ist immer der Wahrheit und der Freiheit verpflichtet und muß sich stets allen Fragen seiner Zeit stellen. Der amerikanische Präsident könnte mit Camus verstehen, daß Kunst und Kultur eine größere Bedeutung als Waffen haben. Außerdem kann er Camus als einen entschiedenen Gegner der Todesstrafe kennenlernen, der in seinen „Betrachtungen zur Todesstrafe“ (1957) erklärte: „Weder im Herzen des einzelnen noch in den Sitten der Gesellschaft wird es einen dauerhaften Frieden geben, solange der Tod nicht aus den Gesetzen verbannt ist.“
Bei Klett gibt es CDs mit einer Originalaufnahme des L’étranger, so wie Camus ihn 1952 im französischen Rundfunk gelesen hat.