Die 100 Tage Bilanz von François Hollande – Aufbruchsstimmung in Frankreich

6. November 2012 von H. Wittmann



Am 5. November 2012 fand in der > Stadtbibliothek am Mailänder Platz eine Podiumsdiskussion statt: „Die 100 Tage Bilanz von François Hollande – Aufbruchsstimmung in Frankreich“. Der französische Generalkonsul und Leiter des > Institut français in Stuttgart, Michel Charbonnier, begrüßte die Gäste.

Am 6. Mai ist François Hollande für die Dauer von fünf Jahren zum Staatspräsidenten gewählt worden. Ausgestattet mit der ganzen Machtfülle, wie die Verfassung der V. Republik sie ihm zuweist, verfügt er über die Mehrheit in der Nationalversammlung und im Senat und zudem in vielen Regionalräten. Ein Durchregieren wäre ein Leichtes für ihn. Und doch scheint der Präsident zu zögern. Fast hat gewinnt man den Eindruck, als würde er zögern und sich scheuen, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Und dabei mangelt es nicht an Vorschlägen, Arbeitspensen, Ideen, Anregungen und Aufgaben. In der > Zusammenfassung seines Berichts trägt Louis Gallois > 22 Vorschläge vor: S. 61-64.

Zwei Korrespondenten Axel Veiel (Stuttgarter Zeitung), Anne Mailliet (France 24) ihre Analyse der neuen Führungsmannschaft in Frankreich vor: ihre ersten Maßnahmen, die Agenda für die kommenden Monate und die ersten Schritte des neuen deutsch-französischen Gespanns Hollande-Merkel – all dies vor dem Hintergrund der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum des Elysée-Vertrags sowie der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise. Moderiert wurde die Diskussion von Dominik Grillmayer, Forscher am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.

Dabei drängt Finanzkrise zum beherzten Handeln. Die Meinungsumfragen in den letzten beiden Monaten werden immer ungünstiger für den Präsidenten, Die Franzosen haben immer mehr die Hoffnung, dass er wenigstens irgendetwas machen werde. Die Steuer für die Spitzenverdiener wurden heraufgesetzt und das Renteneintrittsalter wieder nach unten korrigiert. Besonders die letzte Maßnahme ist umstritten. Vor- oder nachgezogene Wahlgeschenke kennen wir auch aus Berlin, wo jüngst das Betreuungsgeld gegen alle Vernunft durchgesetzt worden ist. Wie wollen Frankreich und Deutschland ihren Partnern in der EURO-Gruppe zu Sparkursen raten, wenn sie zu Hause aus politischen Gründen das Sparen nicht durchsetzen können? Offenbar ist der Handlungsspielraum des französischen Präsidenten trotz seiner Machtfülle sehr eingeengt. Wachsende Arbeitslosigkeit, geringes Wachstum, die Gefahr in den Fokus der Finanzmärkte und er Ratingagenturen zu geraten, das sind keine rosigen Aussichten. Aber wo kann in der Staat in Frankreich Einsparungen vornehmen, ohne sofort mit Demonstrationen rechnen zu müssen? Und die 35-Stunden-Woche scheint ein in Marmor gemeißeltes Gesetz zu sein, das die so dringend benötigte Flexibilität des Arbeitsmarktes unterbindet. Der jüngste Bericht von Louis Gallois, der einen „Schock des Vertauens“ anregt, würde, folgt man heute der Bildunterschrift in der FAZ, PM Ayrault am liebsten nur im Umschlag stecken sehen.

Anne Mailliet (France 24) erinnerte daran, dass die Franzosen mit dem Aktionismus von Nicolas Sarkozy unzufrieden gewesen waren, jetzt geht ihnen die Entschleunigung von François Hollande vielleicht zu weit. Man dürfe sich schon fragen, ob ihm der Mut fehle. Nein, die Franzosen sehen sich Sarkozy nicht wieder herbei, soweit dürfe man nicht gehen. Trotzdem fragen sich die Franzosen, wo die Reise hingehe. Die große Frage ist jetzt, wird der Bericht von Louis Gallois zum Anlass für konkrete Entscheidungen akzeptiert, oder sollen die in ihm genannten Ziele, wie es bereits angedeutet wird, auf fünf Jahre gesteckt werden, ohne jemandem wehzutun? Betrachtet man die die vielen Ebenen der Verwaltung in Frankreich, ist es nicht besonders schwer, Einsparpotentiale zu erkennen – aber mit welchen Folgen? Und genau vor denen schreckt die Regierung zurück.

Ein Zuhörer erinnerte daran, dass die Begriffe duales Ausbildungssystem, soziale Partnerschaft und Friedenspflicht schwer ins Französische zu übersetzen seien. Zugleich wurde aber auch deutlich, dass ein Import des deutschen Modells so ganz einfach nicht zu machen sei und Nicolas Sarkozy im Wahlkampf eher geschadet habe. Frankreich hat offenkundig ein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen, weil u.a. die Sozialkosten zu hoch sind. Wartet die Regierung ab? Bis der Leidensdruck genügend hoch ist?

Wie oft haben sich die Regierungen in Berlin und Paris bisher immer wieder versprochen künftig enger zusammenarbeiten zu wollen? Die Podiumsdiskussion hat Schwächen der französischen Wirtschaftspolitik aufgezeigt, und sie hat die Bedingungen analysiert, die François Hollande die Hände zu binden scheinen. Nationale Wirtschaftspolitiken in Europa können heute nicht mehr alleine Erfolg haben. Es ist bisher schon so viel von Konvergenz gesprochen worden. Die Gestaltung des deutsch-französischen Dialogs verlangt viel mehr ein Miteinander und konstruktiven Austausch. Vordergründig erfährt die Öffentlichkeit von häufigen Gipfeln, aber der im Hintergrund laufenden permanenten deutsch-französischen Dialog tritt kaum an die Öffentlichkeit. Stimmt es eigentlich, das Merkel und Hollande sich vor ihren Gipfeltreffen kaum noch oder nicht mehr wie zu Zeiten von Merkel und Sarkozy abstimmen, wie es in dieser Podiumsdiskussion anklang?

Gesprächspartner:
Der 1953 geborene Axel Veiel kommt im Anschluss an sein Studium der Rechtswissenschaften 1985 zur Stuttgarter Zeitung. Nachdem er mehrere Jahre als Korrespondent für die Tageszeitung in Madrid verbracht hat, nimmt er seit 2004 diese Aufgabe in Paris wahr.
Er wird sich mit Anne Mailliet unterhalten. Nach ihrem Studium der Literatur und Soziologie in Straßburg und Berlin arbeitet die Deutsch-Französin seit zehn Jahren als freie Journalistin in Berlin. Seit 2001 ist sie für verschiedene französische Fernsehsender und seit 2006 als Deutschland-Korrespondentin des internationalen Senders France 24 tätig.

Veranstalter: Institut français Stuttgart, DFI Ludwigsburg, Stuttgarter Zeitung und Stadtbibliothek Stuttgart
Mit freundlicher Unterstützung der Klett Stiftung
Im Rahmen des Deutsch-französischen Jahres

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