Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht vor dem Europäischen Parlament in Straßburg

13. November 2018 von H. Wittmann



Aktualisiert: 14.11.2018. Am 13. November 2018 um 15 h hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre europapolitischen Vorstellungen vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments erläutert:

Die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Straßburg > „Herzschlag der europäischen Demokratie“ – Website der Bundesregierung

> Rede von Bundeskanzlerin Merkel vor dem Europäischen Parlament am 13. November 2018 in Straßburg – Dienstag, 13. November 2018, 15:07 Uhr in Straßburg

Präsident Macron und seine Vorschläge für eine „refondation de l’Europe“

Tout un système : >

Nos atouts : >

Un programme : >

Die Bilanz nach einem Jahr: > La souveraineté de l’Europe: Eine Bilanz der Sorbonne-Rede vom 26. September 2017 – 2. November 2018

La chance de nous tous : >

> Discours du Président de la République devant le Parlement réuni en Congrès à Versailles – 10. Juli 2018

Rappel: > Nachgefragt: “L’Europe ne doit pas se faire dans le silence.”Entretien avec Christian Lequesne, Professeur à Sciences po à Paris

Unsere Redaktion analysiert: War diese Rede endlich die lang erwartete Antwort auf die Europa Vorschläge von Präsident Emmanuel Macron? Zumindest in einem Punkt wurde sie deutlich, als Sie die Vision einer Europäischen Armee ansprach.

„A sa manière, un discours bref – vingt minutes, sobre et sans pathos –, Angela a fait du Merkel au Parlement européen, mardi 13 novembre, à Strasbourg,“ schreibt Cécile Ducourtieux, > Angela Merkel se prononce en faveur d’une « véritable armée européenne », LE MONDE.

Im Kern nannte die Bundeskanzlerin nach ihrer Einleitung „Heute stehe ich mit Freude und auch mit Dankbarkeit vor dem größten demokratischen Par-lament der Welt. Sie, die 751 Abgeordneten aus 28 Staaten, vertreten gemeinsam über 500 Millionen Menschen. Das sind nahezu sieben Prozent der Bevölkerung der Welt. Wir spü-ren in Ihrem Haus den Herzschlag der europäischen Demokratie. Das zeigen die Debatten, die in 24 Sprachen geführt werden,“ drei Gründe für eine Stärke, die auf Toleranz und Solidarität beufen könne:

„Erstens: Solidarität ist ein universeller Wert. Sich füreinander einzusetzen, ist eine Grundvoraussetzung für jede funktionierende Gemeinschaft.“ Solidarität in Europa gehört laut Merkel zur „europäischen DNA“. Solidarität gehört zur Verantwortung: „Deshalb gilt zweitens: Solidarität geht immer auch mit Verantwortung für die Gemeinschaft aller einher. Konkret heißt das: Wer rechtsstaatliche Prinzipien in seinem Land aushöhlt, wer die Rechte der Opposition und der Zivilgesellschaft beschneidet, wer die Pressefreiheit einschränkt, der gefährdet nicht nur die Rechtsstaatlichkeit in seinem eigenen Land, sondern der gefährdet die Rechtsstaatlichkeit von uns allen in ganz Europa. Denn Europa kann als Rechtsgemeinschaft natürlich nur dann funktionieren, wenn das Recht überall gleichermaßen gilt und geachtet wird.“ Deutliche Worte, deren Adressaten merken, dass sie gemeint sind.

Auch in Rom dürfte man sich angesprochen fühlen: „Wer darauf setzt, Probleme allein durch neue Schulden zu lösen, und eingegangene Verpflich-tungen missachtet, der stellt die Grundlagen für die Stärke und die Stabilität des Euroraums infrage. Denn unsere gemeinsame Währung kann nur funktionieren, wenn jedes einzelne Mit-glied seine Verantwortung für tragfähige Finanzen zu Hause erfüllt. Wer die Geschlossenheit Europas gegenüber Dritten infrage stellt – zum Beispiel bei vereinbarten Sanktionen oder in Fragen der Menschenrechtspolitik –, der untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten euro-päischen Außenpolitik. Denn Europa kann seiner Stimme in der Welt nur dann Gehör verschaffen, wenn es geeint auftritt. Das heißt, dass Solidarität immer auch bedeutet, nationale Egoismen zu überwinden.“

Aber man kehrt auch vor der eigenen Haustüre: „Dabei weiß ich sehr wohl, dass sich auch Deutschland nicht immer tadellos verhalten hat bzw. sich in den Augen mancher nicht immer tadellos verhält. Zum Beispiel haben wir in den Jahren vor 2015 viel zu lange gebraucht, um auch in Deutschland die Flüchtlingsfrage als eine Frage für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzunehmen und zu verstehen, dass sie eben eine gesamteuropäische Aufgabe ist.“
„Daraus folgt drittens: Die Solidarität zum Nutzen aller bedeutet im Ergebnis auch, im wohlverstandenen eigenen Interesse zu handeln. Respekt und Unterstützung für andere und die Vertretung eigener Interessen sind kein Widerspruch – ganz im Gegenteil. Ein Beispiel hierfür ist unsere Zusammenarbeit mit afrikanischen Herkunftsländern beim Thema Flucht und Migration.“

„Einheit und Geschlossenheit sind für Europas Erfolg unverzichtbar. Ich möchte deshalb drei Bereiche hervorheben, auf die es aus meiner Sicht besonders ankommen wird:“ Und die Bundeskanzelrin nennt im Folgenden die Außen- und Sicherheitspolitik, den wirtschafltichen Erfolg Europas und das Thema Flucht und Migration:

Europa müsse sein Schicksal stärker in seine eigene Hand nehmen und die Bundeskanzelerin skizziert in einigen Sätzen den Weg zu einer Europäischen Armee: „Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages auch eine echte europäische Armee zu schaffen.“ Dazu > Emmanuel Macron: Man wird die Europäer nicht beschützen, wenn man sich nicht entscheidet, eine wirkliche europäische Armee zu haben. – 6. November 2018 – Und sie fügt hinzu: „Eine gemeinsame europäische Armee würde zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt.“ und sie erinnert daran: „Die Zeiten, in denen wir uns vorbehaltlos auf andere verlassen konnten, ist vorbei.“

War diese Rede eine Antwort auf die Vorschläge von Emmanuel Macron? Oder wurde hier eine Chance verpasst. Überholt hat sie Präsident Macron heute nicht. Soviel steht fest. Jetzt wird ihre Rede in den Medien vor allem mit ihrem Wunsch nach einer Europäischen Armee zitiert:

aber sagte sie nicht „eines Tages“ und „wir sollten an der Vision arbeiten“, also kommt die Vision erst eines Tages noch – möglicherweise erst in der Amtszeit ihres Nachfolgers oder ihrer Nachfolgerin?

Angela Merkel: „Das ist ja keine Armee gegen die NATO – ich bitte Sie –, sondern das kann eine gute Ergänzung der NATO sein. Kein Mensch möchte klassische Verbindungen infrage stellen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre doch viel einfacher, mit uns zusammenzuarbeiten. Wenn wir heute mehr als 160 Verteidigungssysteme bzw. Waffensysteme und die Vereinigten Staaten von Amerika nur 50 oder 60 haben, wenn wir für alles eine eigene Verwaltung, Be-treuung und Ausbildung brauchen, dann sind wir doch kein effizienter Partner. Wenn wir unser Geld effizient einsetzen wollen und doch für viel Gleiches kämpfen, dann können wir doch in der NATO mit einer europäischen Armee gemeinsam auftreten. Darin sehe ich über-haupt keinen Widerspruch.“

Die Zwischenrufe mit lautem Unwillen aus dem Plenum beantw3ortet sie so: „Ach, ich freue mich darüber. Ich lasse mich doch nicht irritieren. Ich komme auch aus dem Parlament“

Zur Wirtschaft sagt sie: Natürlich gehört zu einem stabilen Wohlstandseuropa auch eine stabile Wirtschafts- und Wäh-rungsunion. Wir wollen den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiterentwickeln. Wir ar-beiten an der Bankenunion. Wir arbeiten an einem Eurozonenhaushalt; Deutschland und Frankreich haben sich dafür ausgesprochen. Ich glaube, man sollte das sehr eng mit der mittel-fristigen finanziellen Vorausschau verbinden. Wir treten auch dafür ein, dass Haftung und Kontrolle zusammengehören. Das heißt, eine Bankenunion und später auch ein europäisches Einlagensicherungssystem bedingen, dass Risiken in den Nationalstaaten zuvor reduziert wur-den. Das geht zusammen. Europäische Solidarität und Eigenverantwortung sind immer zwei Seiten ein und derselben Medaille. “

Zum Thema Migration spricht sie sich für einen gemeinsamen europäischen Grenzschutz aus. Und sie gesteht ein: „Wir haben vor 2015 viel zu lange gebraucht, um die Flüchtlingsfrage auch als Frage für die gesamte Union anzunehmen“. Von einem einhetlichen Asylverfahren sei man noch weit entfernt: In diesem Punkt  sei “ Europa noch nicht so geeint, wie ich mir das wünschen würde.“

Fazit: Die Rede war eher eine gute Bilanz, ein Lobrede auf Europa mit Eingeständissen von Versäumnissen in der Flüchtlingspolitik und mit der Andeutung einer Vision, in Europa eine Europäische Armee zu gründen, eher ein Zukunftsprojekt, das man mal andenken könne. Der Vergleich mit den hier oben im Artikel zitierten Reden von Präsident Macron über Europa fällt eher bescheiden aus. Sie möchte Europa weiterentwickeln: „Wir arbeiten an einem Eurozonenhaushalt; Deutschland und Frankreich haben sich dafür aus-gesprochen. Ich glaube, man sollte das sehr eng mit der mittelfristigen finanziellen Voraus-schau verbinden,“ das klingt aber nicht nach der „Refondation“ und dem neuen energischen Anschub für Europa den Präsident Macron auf seine Fahnen geschrieben hat.

Bibliographie:
Klaus Wittmann, Europäische Verantwortung und „Europäische Armee“ in: Fabian Forster, Sascha Vugrin , Leonard Wessendorff (Herausgeber), > Das Zeitalter der Einsatzarmee: Herausforderungen für Recht und Ethik (Wissenschaft und Sicherheit), Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2014, S. 194-209 – ISBN 978-3-8305-3380-1  Auch als > PDF/E-Book
Verlagsankündigung: „Auslandseinsätze der Bundeswehr sind mittlerweile seit mehr als einem Jahrzehnt Element deutscher Außen- und Sicherheitspolitik und dennoch ist die Diskussion über die Gestaltung dieses Instrumentes so offen wie zu Beginn der Einsätze. Die Bundeswehr hat sich grundlegend gewandelt und ist in der öffentlichen Wahrnehmung und aufgrund der Bündelung ihrer Fähigkeiten eine Einsatzarmee. Besonders aber in der Gegenüberstellung einer Einsatzarmee mit weltweiten Operationen und dem gesellschaftlichen Leitbild der Zivilgesellschaft sind zahlreiche rechtliche und ethische Fragen aus der Einsatzrealität heraus entstanden und müssen von Politik, Gesellschaft und Streitkräften beantwortet werden. …“

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