2. Dezember 1851: Staatsstreich von Louis-Napoléon
2. Dezember 2017 von H. Wittmann
Im Dezember 1848 gewinnt Louis-Napoléon die Präsidentschaftswahlen mit 5,5 Millionen Stimmen und großem Abstand vor seinen Mitbewerbern. Vier Jahre im Élysée-Palast, dann muss er die Macht aufgeben und darf nicht wiedergewählt werden, so steht es in der Verfassung der II. Republik. Der Präsident will natürlich an der Macht bleiben und am 2. Dezember 1851 schreitet er mit einer kleinen Gruppe von Helfern zur Tat:
„Rein in die Hosen! Runter auf die Straße. Die Plakate kündigen die Ordnung und das Marschieren an.“ (E. et J. de Goncourt, Journal des Goncourt, Bd. I, 1851-1857, Paris 1956, 1989 S. 48-51, S. 48) Mit diesen Sätzen beginnen die Brüder Goncourt im Dezember 1851 ihr berühmtes Journal, mit dem sie die politische und die gesellschaftliche Geschichte des Kaiserreichs begleiteten, und sie bringen die Kritik und den Ärger der Intellektuellen und der Künstler sogleich auf den Punkt. Die Gaffer, notieren die Goncourt, sind unzufrieden, weil sie nichts mitbekommen haben. Der Vorhang war noch nicht ganz oben, und alles war schon vorbei.
Dieser Staatsstreich, Louis-Napoléons dritter Versuch, den Gang der Geschichte zu seinen Gunsten zu ändern, wird in den Morgenstunden des 2. Dezember 1851 nach dem Drehbuch im Ordner mit der Aufschrift „Rubicon“ abgewickelt. 1836 in Straßburg und 1840 bei in Boulogne-sur-Mer hatte er schon versucht, die Macht in Frankreich an sich zu reißen. Aber das waren eher dilettantische Versuche, der erste brachte ihm eine Ausweisung in die USA ein, er durfte aber bald zurückkehren, gefährlich schien er nicht zu sein; der zweite Versuch führte ihn statt nach Paris in die lebenslange Haft in das Fort Ham, aus dem er 1846 flüchtete, um dann im Dezember 1848 Karriere als erster und bis dato natürlich jüngster Staatspräsident vom Volk gewählt in den Élyséepalast einzuziehen.
Der Staatsstreich vom Dezember 1851 wird minutiös vorbereitet. Die Proklamation, die auf den Mauern von Paris erschien, rechtfertigte den Staatsstreich, weil die Verfassungsväter die Macht, die das Volk dem Präsidenten verliehen hatte, von vorne herein geschmälert hatte: Er konnte nach vier Jahren nicht wiedergewählt werden:
„La situation actuelle ne peut durer plus longtemps. Chaque jour qui s’écoule ag-grave les dangers du pays. L’Assemblée, qui devait être le plus ferme appui de l’ordre, est devenue un foyer de complots. Le patriotisme de trois cents de ses membre n’a pu arrêter ses fatales tendances. Au lieu de faire des lois dans l’intérêt général, elle forge des armes pour la guerre civile; elle attente au pouvoir que je tiens directement du peuple; elle encourage toutes les mauvaises passions; elle compromet le repos de la France : je l’ai dissoute, et je rends le peuple entier juge entre elle et moi. La Constitution, vous le savez, avait été faite dans le but d’affaiblir d’avance le pouvoir que vous alliez me confier. Six millions de suffrages furent protestation contre elle, et cependant je l’ai fidèlement observée.“ (Louis-Napoléon, Proclamation du Président de la République au peuple et à l’armée, [2. 12.1851], in: La politique impériale exposée par les discours et proclamations de l’Empereur Napoléon III depuis le 10 décembre 1848 jusqu’en février 1868, Paris 1868. S. 119 f.)
Das französische Volk wird ab dem 11. Dezember zu einem Referendum aufgerufen, und Louis-Napoléon verspricht, sich zurückzuziehen, falls die Franzosen gegen ihn stimmen werden: „Si je n’obtiens pas la majorité de vos suffrages, alors je provoquerai la réunion d’une nouvelle assemblée, et je lui remettrai le mandat que j’ai reçu de vous.“ Diese Warnung vor dem Scheitern des Plebiszits wird eine auch in der V. Republik gängige Praxis, mit der auch General de Gaulle Abstimmungen in seinem Sinne lenken wird.
Der Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 beschädigt das Amt des Staatspräsidenten, so dass in Frankreich erst 1965 wieder ein Präsident vom Volk gewählt werden wird: Und François Mitterrand zwingt General de Gaulle in die Stichwahl. Mit dem Staatsstreich hat Louis-Napoélon auch viele Intellektuelle und Künstler brüskiert, die vor dem Staatsstreich zu ihm hielten, andern die zunächst seine Gegner unterstützen ihn jetzt: Gerade der Seitenwechsel vieler Intellektueller wie Victor Hugo um die Jahres-wende 1851/52 zeigt, wie sie trotz Diktatur und Zensur ästhetische Grundsätze, moralische Positionen und Veränderungen gegenüber der Politik einfordern. Zwischen 1848 und 1870 hat sich die Literatur unter dem Einfluss der politischen Entwicklung verändert, und Schriftsteller und Künstler haben trotz des Versuchs staatlicher Bevormundung in einem weit höheren Maße die Perspektiven der Politik beeinflusst, als dies die meisten historischen Untersuchungen dieser Epoche bereit sind zuzugeben.
Das schon unter Napoleon I. spannungsreiche Verhältnis von Kunst und Politik bestätigt sich erneut für das Regime seines Neffen, das in Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zeichen der beginnenden Moderne steht. Kunst, Architektur und Geschichte sind nicht nur Medien der Macht. Sie beeinflussen maßgeblich die Politik sowie die Entwicklung und Selbstdarstellung des Zweiten Kaiserreichs.
Erinnern wir hier an das Gespräch mir Eric Anceau im Febraur 2014 > Nachgefragt: Eric Anceau, Napoléon III
> Éric Anceau : Warum sollte man Napoléon III heute kennen? 6. Februar 2014
> Napoleon III. Vorlesung von Éric Anceau: 600 Zuhörer – 4. April 2014